Ermland aus Sicht eines einheimischen Ermländers

von Johannes Götz

 

Buchbesprechung des von Henryk Mondroch veröffentlichten Touristikführers "Ostpreußens Schätze - früher und heute"

von

Bruno Riediger

 

Über den heute polnischen Teil Ostpreußens, in Polen „Ermland und Masuren“ genannt, liegen heute bereits viele landeskundliche Werke vor. Sie wollen den Leser vornehmlich in polnischer und deutscher Sprache mit den Besonderheiten dieser Region bekannt machen und wenden sich zumeist an Touristen. Henryk Mondroch, Abkömmling einer seit Generationen im Ermland beheimateten Familie, hat einen in vielerlei Hinsicht besonderen, nach seinen Worten „historisch-touristischen Führer“ durch Ermland und Masuren verfasst. Besonders ist dieser Touristikführer nach Inhalt und Form. Mondroch schreibt aus dem Blickwinkel des „einheimischen Ermländers“, der bis zur Entsowjetisierung 1989 seine Gedanken zur Geschichte Ermlands und Ostpreußens nicht frei äußern konnte. Diese Geschichte stellt sich bis heute voller Widersprüche dar. Einerseits reklamierte die polnische kommunistische Regierung nach 1945 die im Süden des Ermlands beheimatete polnischsprachige Bevölkerung als zur polnischen Nation gehörig, andererseits waren die neuen polnischen Verwaltungsorgane und die polnischen Neusiedler gegenüber den nach 1945 in ihrer Heimat verbliebenen Ermländern nicht selten feindlich gesinnt. Mondroch zeigt mit Blick auf einige Dörfer nördlich von Allenstein derartige Missstände auf, aber verurteilt nicht. Sein Buch dient zugleich der Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte im Kontext der ermländischen Heimatregion.

Kapelle in Braunswalde
Wesoły Geodeta, KapliczkaBrąswałd1, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Breiteren Raum nehmen daher im vorliegenden Touristenführer die Dörfer Braunswalde (Brąswałd), Bergfriede (Barkweda), Groß Buchwalde (Bukwałd), Redigkainen (Redykajny), Köslienen (Kieźliny) und Diwitten (Dywity) mit ihren Sehenswürdigkeiten und historischen Ereignissen ein. Der Autor beschreibt den Pfarrer Valentin Barczewski und den Lehrer Rudolf Strach, die Ende des 19., zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Braunswalde wirkten, als polenfreundlich zu Lasten der deutschsprachigen Bevölkerung. Bis heute setzt sich diese Auseinandersetzung um Sprache und Nationalität fort und wird in der Braunswalder Kirche durch die Beschriftung der Kreuzwegstationen manifest: die deutschen Inschriften vernagelte man nach 1945 mit einer Leiste und brachte darunter eine zusätzliche Leiste mit polnischen Inschriften an. Es werden aber auch positive Beispiele aufgeführt, so das noch heute erhaltene Denkmal in Groß Ramsau (Ramsowo) zur Erinnerung an die Volksabstimmung 1920 im südlichen Ostpreußen. Damals wurden die polnischen Hoffnungen auf den Zugewinn des Abstimmungsgebiets enttäuscht, weil der neugebildete polnische Staat, ähnlich wie heute Russland in der Ukraine, nicht realisierte, dass Sprache und Nation nicht zwangsweise identisch sind.

Pfarrer Valentin Barczewski (1856-1928). Walenty Barczewski, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Da das vorliegende Werk ja ein historisch-touristischer Führer durch Ostpreußen sein will, hat Mondroch folgerichtig einen gut lesbaren historischen Abriss zur Geschichte Ostpreußens vorangestellt. Dabei handelt es sich nicht um eine geschäftsmäßige Aneinanderreihung von Jahreszahlen und Fakten. Vielmehr werden mit Schwerpunkt auf Personen und Orte überwiegend im südlichen Ermland und unter Heranziehung von zahlreichen Illustrationen Artefakte, beginnend mit Funden aus der Jungsteinzeit bis zu Hinterlassenschaften der früheren prussischen Bewohner Ermlands, sowie Kulturgüter und Ereignisse bis Ende des Zweiten Weltkriegs beleuchtet. Interessant ist der bisher in Deutschland wenig bekannte Bericht über eine Unterredung von Marschall Piłsudski mit dem damaligen deutschen Außenminister Stresemann in Genf 1927. In ihrem Gespräch ging es um die Frage des Korridors und die Volksabstimmung im südlichen Ostpreußen.

Auch weniger bekannte Sehenswürdigkeiten im Blick
Der Abschnitt über den Zweiten Weltkrieg konzentriert sich auf die Ereignisse im Raum Allenstein zu Beginn des Jahres 1945, als die Sowjettruppen mit einem schnellen Vorstoß an die Ostsee Ostpreußen vom Reichsgebiet abschnitten. Die danach folgenden Leiden der deutschen Zivilbevölkerung werden an namentlich genannten Personen und Orten festgemacht und geschildert. Sei es auf der Flucht oder in ihrem Heimatort, die Bewohner traf ein hartes Schicksal in vielen Varianten. Sie wurden von Rotarmisten beraubt, erschossen, misshandelt, nach Sibirien verschleppt oder vergewaltigt. Mondroch nennt als Ursache für die Verbrechen der Sowjetsoldaten „die Rache für die Gräueltaten der Wehrmacht an der sowjetischen Bevölkerung“ und befindet sich mit dieser Aussage im Mainstream der deutschen und westlichen Geschichtswissenschaft. Wenn überhaupt, dann kann jedoch Rache nicht die alleinige Ursache gewesen sein. Denn aus nicht wenigen polnischen Veröffentlichungen wurde erst nach der Wendezeit offiziell bekannt, dass die Rote Armee bei der „Befreiung“ Polens auf ihrem Vormarsch nach Westen zahlreiche Plünderungen, Gewalttaten und Vergewaltigungen begangen hat. Rache ist hier eindeutig nicht der Verursacher, sondern die minder oder mehr seitens der sowjetischen Militärführung geduldete Gewaltbereitschaft und Disziplinlosigkeit ihrer Rotarmisten. Nach den Ausführungen Mondrochs folgten den Sowjetsoldaten im Ermland unmittelbar danach polnische Plünderer, zu denen sich anfänglich selbst Vertreter der neu gebildeten polnischen Staatsorgane gesellten.

Evangelische Kirche von Raschung

Mondroch berichtet in seinem Werk auch über weniger bekannte Sehenswürdigkeiten im Ermland. Dazu gehört die evangelische Kirche von Raschung (Rasząg) bei Bischofsburg (Biskupiec), die äußerlich an ein Märchenschloss erinnert und die beiden vierstöckigen Bunker aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, die der militärischen Sicherung des Eisenbahnübergang über die Passarge bei Thomareinen (Tomaryny) dienten. In Krossen (Krosno) geht er dem Geheimnis der Wallfahrtskirche nach. Außerhalb des Ermlands beschreibt er die Geschichte des Tannenbergdenkmals bei Hohenstein (Olsztynek), des dortigen Freilichtmuseums zu Ostpreußens Baukultur und des Grabmals in Pyramidenform bei Groß Sakautschen (Zakałcze Wielkie), unweit von Dorfes Kleinangerapp (Rapa).

Einzigartig ist die Darstellung der vielen technischen Denkmäler zu Wasserbaumaßnahmen im 19. und 20. Jahrhundert durch den technikbegeisterten Autor. Mondroch beschreibt anschaulich und auch für den nicht technikaffinen Leser gut nachvollziehbar. Außerhalb des Ermlands ist der Oberländische Kanal recht bekannt. Er sollte ursprünglich vor allem als Verkehrsweg dienen, um das ostpreußische Hinterland mit der Ostsee zu verbinden. Der Konkurrenz von Eisenbahn und Auto konnte er jedoch nicht standhalten und diente bald touristischen Zwecken. Teilweise nutzte man ihn aber auch zur Entwässerung feuchten oder bruchigen Landes entlang des Kanals, genannt „Melioration“. Dadurch gewann man zusätzliche Acker- und Wiesenflächen und machte die Böden erheblich ertragreicher. Neben der Separation war die Melioration im Ermland die entscheidende Maßnahme zur Hebung der Landwirtschaft, bezieht man die erst später erfolgte Drainage privater Agrarflächen mit ein. Im Kreis Allenstein war die 1841 begonnene Tätigkeit des Meliorationskomitees vorbildlich für die gesamte ostpreußische Provinz. Das Marong-See-Gebiet mit drei Seen wurde gänzlich entwässert und im Kirmeß-See-Gebiet senkte man die Ufer ab und gewann so Wiesenränder. Mit dem gleichen Ergebnis senkte man teilweise die Alle. Mondroch zeigt an Beispielen auf, wie an Orten des Allensteiner Kreises durch Bau von Kanälen, eines Aquäduktes und Nutzung einer Pumpe, die mit Wasserkraft betrieben wurde, Land entwässert und dadurch fruchtbarer gemacht wurde.

Das Schlusskapitel ist den Luftschiffen gewidmet und das nicht ohne Bezug zum Ermland. Im Diwitter Wald stieß der Autor auf ein weiträumiges Gelände mit zahlreichen Betonfundamenten und Stahlblöcken, das seit deutscher Zeit als Militärlager genutzt wurde. Der technikbegeisterte Autor fand schnell heraus, dass es ich um die Überreste eines dort 1914 errichteten, militärisch genutzten Luftschiffhafens, „Ludendorff“ genannt, handelt. Die gewaltige Halle hatte eine Länge von 192 m und eine Breite von 44 m. Nach Ende des 1. Weltkriegs musste die Halle gem. den Bestimmungen des Versailler Vertrags demontiert werden. Die meisten Bauteile landeten danach in Darmstadt, wo zwei 90 m lange Hallen zur industriellen Nutzung errichtet wurden. Bis heute hat eine dieser Diwitter Hallen als Parkhaus überlebt, nunmehr unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2012 gibt es am Ort des Diwitter Luftschiffhafens einen Lehrpfad. Mondroch schlägt den Bogen von dort zur Geschichte des Luftschiffwesens bis in die heutige Zeit.

Geschichte und Landeskunde des Ermlands zum Anfassen
Henryk Mondroch hat mit seinem historisch-touristischen Führer ein Werk vorgelegt das faktenreich Geschichte und Landeskunde des Ermlands „zum Anfassen“ präsentiert, ergänzt mit einigen Sehenswürdigkeiten außerhalb des Ermlands. Dabei spielt es keine Rolle, dass er das Hauptaugenmerk auf das südliche Ermland legt. Denn der Großteil der geschilderten Ereignisse spielte sich ähnlich auch im Norden Ermlands ab. Ebenso gilt dies für Baudenkmäler, die häufig in vergleichbarer Form ermlandweit zu finden sind. Das vorliegende Buch ist somit für den Leser interessant, der sich anschickt, erstmals das Ermland zu besuchen und sich einen guten Überblick über diese Region verschaffen will. Es eignet sich aber auch für den bewährten „Ermlandfahrer“, der insbesondere im südlichen Ermland seinen Horizont erweitern will. Wer dazu noch technikinteressiert ist, kann sich damit zusätzlich nützliches Wissen auf dem Gebiet der Industriearchäologie aneignen. Dass André Schmeier, der Seelsorger der deutschen Gemeinde im Erzbistum Ermland, die deutsche Übersetzung des Touristikführers besorgte, spricht für dessen Qualität.

 

Henryk Mondroch, Ostpreußens Schätze – früher und heute. Menschen, Orte, Technik, Zeppeline. Olsztynskie Zakłady Graficzne S.A., Selbstverlag des Autors, Dywity 2023. ISBN 978-83-963995-1-9. 303 Seiten, Hardcover, zahlreiche Abbildungen, 26,90 Euro, zuzüglich Postgebühren.

Das Buch kann in Deutschland bestellt werden über: https://schlesische-schatztruhe.de/OSTPREUSSENs-Schaetze-frueher-und-heute oder https://www.polbuch.de/

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